Uraufführung einer theaterhistorischen Sensation

Ödön von Horváth schrieb um 1924 ein Stück, das bisher nie veröffentlicht wurde. Das als Sensation angepriesene Theaterstück Niemand wird beinahe hundert Jahre nach seinem Entstehen am Theater in der Josefstadt uraufgeführt. Horváth deutet in diesem Frühwerk viele Motive und Charaktere an, die er in seinen späteren Werken weiter ausarbeitet.

Eine Entdeckung

(c) Mira DeShazer,  pixabay.comTyposkript(c) Mira DeShazer, pixabay.comMitte der neunziger Jahre, ein unauffälliges Typoskript wird von einem Pforzheimer Auktionshaus angeboten. Ein einziger Interessent ersteht die 95 maschinengeschriebenen Seiten zu einem geringen Preis. Offensichtlich hatte niemand bemerkt, dass ein unveröffentliches Werk Ödön von Horváths verschleudert wurde. Es ist noch immer unklar warum dieses vollständige Theaterstück nie publiziert oder aufgeführt wurde. Genauso wenig ist über die Entstehung oder die vom Autor und seinem Verlag verfolgten Absichten bekannt. Es bleiben sehr viele Rätsel im Zusammenhang mit diesem Werk, entsprungen aus der Feder eines der meist aufgeführten Dramatikers des zwanzigsten Jahrhunderts.

Wirtschaftliche Turbulenzen

Der Titel des Stückes lautet Niemand und trägt den Untertitel ‘Tragödie in sieben Bildern’. Der damals 23 Jahre junge, unbekannte Horváth wählte als Verlag ‘Die Schmiede’ in Berlin. In diesem anscheinend renommierten Haus publizierten damalige Größen wie Franz Kafka, Joseph Roth, Alfred Döblin und Rudolf Leonhard. Doch es gab Komplikationen. Der 1921 als GmbH gegründete Verlag geriet in Zahlungsschwierigkeiten und wurde daraufhin 1924 als Aktiengesellschaft neu gegründet. Doch vier Jahre später wurde auch diese wegen Zahlungsunfähigkeit aufgelöst. Unbezahlte Rechnungen und nicht ausbezahlte Autorenhonorare führten zu zahlreichen Prozessen. Kurt Tucholsky verfasste 1929 einen langen, bitterbösen Artikel in dem er mit den beiden Verlagsbesitzern gnadenlos abrechnete und alle Autorenkollegen ernsthaft davor warnte, diesen gewissenlosen Geschäftemachern noch einmal ein Manuskript zuzusenden.

Eine Erinnerung

Horváths Typoskript ist undatiert und man weiß nicht wann genau es beim Verlag eingereicht wurde. Vielleicht haben die wirtschaftlichen Turbulenzen der ‘Schmiede’ die Veröffentlichung des Stückes verhindert.Das Originalmanuskript ist noch immer nicht entdeckt. Man fand bisher keinerlei Notizen oder Briefe Horváths, die Hinweise auf das Stück gegeben hätten. Lajos von Horváth, der um zwei jahre jüngere Bruder erzählte um 1980 dem Horváth Biografen Traugott Krischkes, dass er sich an ein im expressionistischen Stil verfasstes Stück erinnere. Es befand sich in einem blauen Umschlag und trug den Titel Niemand.

Besitzerwechsel

(c) Gryffindor, wikipediaWienbibliothek(c) Gryffindor, wikipedia2015 bot der private Besitzer das Typoskript über das Auktionshaus J. A. Stargardt in Berlin zum Verkauf an. Die Wienbibliothek kaufte das unpublizierte Stück um 11.000 Euro. Mit der Verwaltung der Rechte wurde der Wiener Sessler-Verlag beauftragt. Einnahmen aus den Theateraufführungen fließen der Wienbibliothek für ihre Handschriftensammlung zu.

 

 

Das Stück

Horváths Typoskript enthält, typisch für expressionistische Werke, zahlreiche Gedankenstriche und verwendet kein ‘ß’. Obwohl es sich um ein schrilles und lautes Frühwerk handelt, zeigt es schon die den Autor auszeichnende Qualität. Es gibt kein Gut oder Böse, jeder ist getrieben und seinem Schicksal ausgeliefert. ‘Niemand’ - ein Synonym für die letzte Instanz, ein unbarmherziges Schicksal, Gott, der Menschen wie Figuren in ein Leben drängt, dessen Verlauf unentrinnbar vorgegeben ist. Unausweichlich wiederholt sich das Schicksal, Horváth sieht jeden Einzelnen austauschbar. Eine Prostituierte begeht Raubmord, wird verhaftet, an der Tür klopft schon die Nächste und bewirbt sich um die plötzlich freie Wohnung. Sogar die Vornamen der beiden sind ironischerweise gleich. Ort der Handlung ist ein Mietshaus des Pfandleihers Lehmann. Er wohnt selbst im ersten Stock seines Hauses und ist durch seine Gehbehinderung darin gefangen. Ohne fremde Hilfe kann er das Stockwerk nicht verlassen. Über ihm wohnt der Geiger Klein, der stets seine Miete schuldig bleibt. Darunter wohnt die Prostituierte Gilda. Im Erdgeschoß befindet sich eine Schenke, wo der eine oder andere auf Pump konsumiert. Lehmann leidet sehr unter seiner Behinderung, was ein wiederkehrendes Motiv bildet. Sein gesunder Bruder Kasper neidet Lehmann das Erbe und spannt ihm die Frau aus. Diese behauptet, sie hätte Lehmann nur aus Mitleid geheiratet. Das ärgert Lehmann, er will um keinen Preis Mitleid erhalten. Mit dieser übertriebenen Haltung bewegt er auch Menschen mit anfangs guten Absichten dazu, ihm gegenüber Unrecht zu begehen. Das zwangsläufige Schicksal erfüllt sich?

Die Inszenierung

(c) Gryffindor, wikipediaTheater in der Josefstadt(c) Gryffindor, wikipediaDas Wiener Theater in der Josefstadt wagt sich im September 2016 unter der Regie von Herbert Föttinger an die Uraufführung des hoch expressionistischen Frühwerkes. Die Besetzung gilt u.a. mit Florian Teichtmeister (Lehmann), Gerti Drassl (Ursula), Marianne Nentwich (Uralte Jungfrau), Raphael von Bargen (Kaspar), Heribert Sasse (Uralter Stutzer), Martin Zauner (Schwarz gekleideter Herr) als exzellent besetzt. Auch bei den kleineren Rollen fehlt es an nichts. Dafür gab es am Ende der Premierenvorstellung vom Publikum belohnende Bravos. Einzelne Kritiker beurteilten das Stück als langatmig oder wirr. Aber es gilt allemal als ein Gewinn einmal den jungen Horváth kennenzulernen.

Der Author

(c) wikipediaÖdön von Horváth(c) wikipediaDer Schriftsteller Edmund Josef von Horváth wurde 1901 in Susak, damals Österreich-Ungarn, einem heutigen Stadtteil von Rijeka, Kroatien geboren und starb 1938 in Paris. Er besaß die ungarische Staatsbürgerschaft. Obwohl er Deutsch als seine Muttersprache verstand und darin schrieb, bevorzugte er die ungarische Schreibweise seines Vornamens und publizierte als Ödön von Horváth.

Kindheit, Jugend, Ausbildung

Edmund war der älteste Sohn eines österreichisch-ungarischen Diplomaten Ödön Josef Horvát und Maria Lulu Hermine Horvát, geb. Prehnal. Der Vater stammte aus dem ungarischen Kleinadel in Slavonien. Seine Mutter gehörte einer ungarisch-deutschen Militärarztfamilie an.

Schon 1902 zog die Familie nach Belgrad, wo 1903 sein Bruder Lajos zur Welt kam. Ab 1908 besuchte der junge Edmund nach einem weiteren Umzug der Familie in Budapest die Grundschule und später das Rákóczianum, das erzbischöfliche Internat. 1909 wurde sein Vater geadelt und nach München versetzt. Er durfte ab nun das im Deutschen übliche ‘von’ in seinem Namen führen, im Ungarischen hingegen ist es üblich den Familiennamen um ein ‘h’ zu erweitern. Mutter und Kinder blieben zunächst noch in Budapest. 1913 folgten sie dem Vater nach München, wo Edmund das Gymnasium besuchte und Deutsch lernte. Wie bei Diplomaten üblich folgt ein Ortswechsel dem anderen. Die Familie übersiedelte 1916 nach Bratislava und 1918 wieder nach Budapest. Als die Eltern 1919 wieder nach München wechselten, kam Edmund zu seinem Onkel Josef Prehnal nach Wien. Er maturierte dort an einem Privatgymnasium. Anschließend studierte er in München bis 1922.

Horváth, der Bühnenautor

Während seiner Studienzeit begann Horváth mit dem Schreiben. 1922 brach er sein Studium ab und widmete sich ganz der Schriftstellerei. Leider vernichtete er viel Texte aus dieser Periode. Er lebte in Berlin, Salzburg und Murnau. Er erkannte welche Gefahren vom Faschismus ausgingen und warnte in seinen Werken davor.
(c) Tobias Kleinschmidt, wikipediaEwald von Kleist Preis(c) Tobias Kleinschmidt, wikipedia1931 war ein erfolgreiches Jahr für Horváth. Es kam zur Uraufführunges seines Stückes Italienische Nacht in Berlin. Im November erfolgte die Uraufführung seines heute erfolgreichsten Stückes, Geschichten aus dem Wienerwald. Er wurde gemeinsam mit Erik Regner mit dem Kleist-Preis geehrt.
Als die Nationalsozialisten 1933 in Deutschland an die Macht kamen zog Horváth nach Wien und schrieb weitere Theaterstücke und Romane. Im gleichen Jahr heiratete er die Sängerin Maria Elsner, die jüdischer Abstammung war. Die Ehe hielt aber nur ein Jahr und wurde geschieden.
Obwohl er den Nationalsozialismus ablehnte, geht Horváth 1934 wieder nach Deutschland, um für die Veröffentlichung seiner Stücke Kontakte zu knüpfen. Doch 1936 wurde er aus Deutschland verwiesen. Seine Stücke wurden in Deutschland nicht mehr aufgeführt und Horváths finanzielle Situation verschlechterte sich. Zu einem größeren Erfolg wurde die Veröffentlichung seines Romanes Jugend ohne Gott 1937 in Amsterdam. Aber bereits 1938 wurde der Roman in Deutschland als unerwünschtes Schrifttum erklärt und eingezogen.

Horváth bereiste nach dem ‘Anschluss’ Österreichs Budapest, Fiume und gelangte über Zwischenstopps nach Paris. Am Abend des 1. Juni 1938 erschlug ein während eines Gewitters herabstürzenden Ast Ödön von Horváth auf der Champs-Élysées.